Medien als digitale Marktschreier. Wer am lautesten schreit, kriegt den Klick (Karrikatur erzeigt mit DALL-E via ChatGPT)
Konstruktiv

Medien als digitale Marktschreier: Wer am lautesten schreit, kriegt den Klick!

Kennt ihr die Marktschreier auf dem Hamburger Fischmarkt? Möglichst laut, schrill, schräg, mit derb-frechen Sprüchen und immer noch was extra in die Tüte schmeißen. Wer am lautesten schreit, kriegt den Deal und verkauft seine Ware an Kunden, die willig mit den Scheinen wedeln. Das lokale hanseatische Phänomen mit bekannten Vertretern wie Aale-Dieter ist längst zu einem Event geworden, das mit verschiedenen Protagonisten bundesweit auf Tour geht. Einer der bekanntesten „Wander-Marktschreier“ war bis zu seinem tragischen Tod 2023 Wurst Achim, der es mit 110 Dezibel sogar zum lautesten Vertreter seiner Zunft gebracht und sich damit einen Eintrag im Guinessbuch der Rekorde gesichert hat. Aber was hat das Beispiel der Marktschreier denn mit Journalismus und hier ganz konkret Online-Journalismus zu tun?

Warum ich als Einstieg in das heutige Thema die marktschreierische Überschrift und den Vergleich mit eben diesen Marktschreiern gewählt habe, sollte deutlich werden, wenn man sich die Überschriften diverser Online-Medien anschaut. Denn dort gilt immer mehr genau der Satz aus der Überschrift: „Wer am lautesten schreit, kriegt den Klick!“ Und so sehen wir, wie sich Online-Medien immer öfter als digitalen Marktschreier zu überbieten versuchen, getreut dem Motto: „Komm lieber Leser, klick bei mir, nicht bei den anderen!“

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Christian Exleben, Autor bei Basic Thinking hat das unter der Überschrift „„Schnee-Chaos“ und „Horror-Winter“: Warum die Wetterbericht-Erstattung immer „krasser“ wird“ an aktuellen Beispielen der Wetterberichterstattung kommentierend dargestellt. Und schaut man sich diverse Medien an, stößt man bei der Berichterstattung über das aktuelle Winterwetter in der Tat immer wieder über Superlativen und eben solche marktschreirischen Überschriften. Hier ein paar Beispiele der Marktschreier aus den letzten Wochen.

  • Winter 01
  • Winter 10
  • Winter 09
  • Winter 08
  • Winter 07
  • Winter 06
  • Winter 05
  • Schnee 04
  • Winter 03
  • Winter 02

Als Marktschreier Nummer 1 gilt oft die BILD, die das Ganze ja schon länger betreibt, als es Online-Medien gibt. Bei der BILD hat das überreizte Geschrei in der Überschrift seit Dekaden auch in Print Methode. Neben überzogenen Schlagworten wie „Schnee-Drama“ oder Clickbait-Überschriften wie „Schnee-Walze hat meinen Urlaubs-Traum zerstört“ wird da auch gerne mit extremen Zahlen gearbeitet, wie „Nächste Woche 30 Grad wärmer?“.

Marktschreier gibt es beim Boulevard … und den anderen auch

Doch längst nicht nur die Bildzeitung und Boulevardmedien greifen zu diesen hochgejazzten Überschriften, um einen Klickfisch an Land zu ziehen. Im Prinzip machen es alle. Marktschreier gibt es überall. Bei der Süddeutschen heißt es in Bezug auf Hagel „Wenn Kanonenkugeln vom Himmel fallen“. Also Kriegsvokabular fürs Wetter. Die FAZ titelt „Warum es gerade in Deutschland besonders glatt ist“. Als ob die Glätte sich an Landesgrenzen hält oder Glatteis in anderen Ländern nicht so glatt ist. Gerne finden Schlagworte wie „Extrem“, „Alarm“, „Chaos“ oder „Horror“ Verwendung oder es wird sogar ein „Live-Ticker“ zum Winterwetter veranstaltet. Und wenn Du bei der Google-Suche mit dem Nachrichtenfilter mal typische Buzzwords wie „Horror-Winter“ oder „Schneechaos“ eingibst, wirst Du ebenfalls üppig fündig.

Neben diesem jahreszeitlich aktuellen Fall lassen sich aber viele weitere Beispiele dafür finden, das in Überschriften Übertreibungen bis hin zum billigen Clickbaiting längst eine gängige Methode geworden sind. Marktschreier, die die Aufmerksamkeit erzwingen wollen. Schon im Jahr 2015 hat das Bildblog dazu unter derm Überschrift „Nepper, Schlepper, Bauer-Medien“ eine aufschlussreiche Sammlung am Beispiel von Bauer Medien veröffentlicht und analysiert.

All the News That’s Fit to Click: How Metrics Are Transforming the Work of Journalists erscheint im Februar 2024
All the News That’s Fit to Click: How Metrics Are Transforming the Work of Journalists erscheint im Februar 2024

Eine sehr interessante Lektüre ist „Clickbait zerstört den Journalismus„, erschienen bei Jacobin. Der Teaser fasst die These des Textes sehr gut zusammen: „Hauptsache Klicks: Trackingtools drängen Journalisten dazu, möglichst profitable Inhalte zu produzieren. Das verschlechtert die Arbeitsbedingungen in der Branche und beschleunigt den Verfall unabhängiger Berichterstattung.“ In dem Artikel wird diskutiert, wie der Einsatz von Metriken und das Streben nach hohen Zugriffszahlen und damit auch oft dem Abschluss von digitalen Abos den Journalismus beeinflusst.

Dabei wird Bezug genommen auf das Buch „All the News That’s Fit to Click: How Metrics Are Transforming the Work of Journalists“ der Autorin Caitlin Petre, das im Februar 2024 erscheinen wird. Petre betont, dass diese Praktiken zu einer „Hamsterisierung des Journalismus“ führen, wobei Journalisten zunehmend unter Druck gesetzt werden, Inhalte zu produzieren, die Klicks generieren, anstatt qualitativ hochwertige Nachrichten zu liefern. Diese Entwicklung hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen in der Nachrichtenindustrie und führt zu einer Entwertung des journalistischen Berufsstands​. Und nicht nur das, es führt auch zum Frust bei der Arbeit. Ich weiß da, wovon ich rede.

Die Wirkung von Clickbait & Co beim Publikum

All das, was gerade Online-Medien heute so tun, aber auch die Aktivitäten von „Absendern“, die mit ihren Informationen keine journalistischen sondern eher propagandistische Zwecke verfolgen, erzeugt bei den Mediennutzern entsprechende Wirkungen. In diesem Zusdammenhang spannend und aufschlussreich ist das Buch „Die Psychologie des Postfaktischen: Über Fake News, „Lügenpresse“, Clickbait & Co.“ Das Buch von Markus Appel bietet eine ausführliche Untersuchung der Kommunikation und Meinungsbildung in der heutigen digital geprägten Gesellschaft. Es konzentriert sich auf die Rolle von Fake News zum einen zund Clickbait in der Medienlandschaft zum anderen und beleuchtet, wie diese Phänomene auf das Publikum wirfken und die öffentliche Wahrnehmung und Diskurse beeinflussen.

Durch die Einbindung psychologischer Theorien und wissenschaftlicher Forschung zeigt Appel auf, wie digitale Medien die Informationsverbreitung verändern und welche psychologischen Effekte dies auf die Nutzer hat. Das Buch behandelt Themen wie Fake News, den Hostile-Media-Effekt und Trolling. Es erforscht auch die Effekte von Native Advertising und Clickbait sowie die Rolle von Big Data und Filterblasen in der digitalen Medienlandschaft. Durch die Analyse kognitiver Verzerrungen und die Untersuchung von Verschwörungstheorien trägt es zum Verständnis der komplexen Dynamiken bei, die die heutige Informationsverarbeitung prägen.

Vertrauensverlust in die Medien wird zum Problem

Eine Folge von all dem ist ein wachsender und messbarer Vertrauenverlust gegenüber den journalistischen Medien. Es gibt mehrere Studien, die den Vertrauensverlust des Publikums in den Journalismus betrachten. Hier zwei davon:

Reuters Digital News Report von 2022: Diese jährlich erscheinende Studie erfasst die Mediennutzungstrends in 46 Ländern und zeigt auf, dass immer mehr Menschen bewusst Nachrichten vermeiden, was besonders in Ländern wie Brasilien und Großbritannien deutlich wird. In vielen Ländern, insbesondere in den USA, sinkt zudem das Vertrauen in die Medien. Ein weiterer Trend ist die Abkehr von traditionellen Medien zugunsten von Informationen aus sozialen Netzwerken und Suchmaschinen, wobei Plattformen wie TikTok und Instagram an Bedeutung gewinnen​​. Quelle 1

Hier die Zusammenfassung des Reuters Digital News Report: Die Zusammenfassung des Reuters Digital News Report 2022 bietet einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen in der Nachrichtenlandschaft. Hier sind einige Kernpunkte (Quelle 2):

  • Vertrauensrückgang: Das Vertrauen in die Nachrichten ist in fast der Hälfte der untersuchten Länder gesunken und hat die während der Coronavirus-Pandemie erzielten Gewinne teilweise umgekehrt. Im Durchschnitt sagen 42% der Befragten, dass sie den meisten Nachrichten meistens vertrauen. Finnland hat weiterhin das höchste Vertrauensniveau (69%), während das Vertrauen in den USA weiter gesunken ist und mit 26% am niedrigsten bleibt.
  • Rückgang der traditionellen Medien: Die Nutzung traditioneller Medien wie Fernsehen und Printmedien ist weiter zurückgegangen, während Online- und soziale Medien diesen Rückgang nicht ausgleichen konnten. Ein zunehmender Anteil der Menschen meidet aktiv Nachrichten, was durch Nachrichtenmüdigkeit und ein Gefühl der Überwältigung durch die Nachrichteninhalte angetrieben wird.
  • Jüngere Zielgruppen: Die Gewohnheiten jüngerer Zielgruppen, insbesondere der unter 30-Jährigen, ändern sich, wobei soziale Medien und visuell orientierte Plattformen wie TikTok und Instagram an Bedeutung gewinnen. Diese Gruppe ist nicht nur anders, sondern unterscheidet sich stärker als in der Vergangenheit von älteren Zielgruppen.
  • Globale Sorgen um Falschinformationen: Die Sorge um falsche und irreführende Informationen bleibt weltweit stabil, wobei in einigen Ländern politische Falschinformationen häufiger wahrgenommen werden als solche über das Coronavirus.
  • Bezahlung für Online-Nachrichten: Trotz eines Anstiegs der Zahlungsbereitschaft für Online-Nachrichten in einigen reicheren Ländern gibt es Anzeichen dafür, dass das Gesamtwachstum ins Stocken geraten könnte. Das Durchschnittsalter eines digitalen Nachrichtenabonnenten liegt fast bei 50 Jahren.
  • Herausforderungen für Verlage: Mit dem bevorstehenden Ende von Third-Party-Cookies werden Erstparteiendaten für Verlage immer wichtiger. Dennoch sind die meisten Verbraucher weiterhin zurückhaltend, ihre E-Mail-Adressen auf Nachrichtenseiten zu registrieren.
  • Zugang zu Nachrichten: Der Zugang zu Nachrichten wird immer verteilter, wobei weniger als ein Viertel der Befragten es vorzieht, ihre Nachrichtenreise mit einer Website oder App zu beginnen. Jüngere bevorzugen den Zugang über soziale Medien, Suchmaschinen und mobile Aggregatoren.

Dieser Bericht zeigt die wachsende Herausforderung für Nachrichtenmedien auf, mit Menschen in Verbindung zu treten, die Zugang zu einer beispiellosen Menge an Inhalten online haben, und sie davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, Nachrichten zu beachten.

PwC-Studie „Vertrauen in Medien“ von 2018: Diese Befragung zeigt, dass das Vertrauen der Deutschen in die Medien, besonders in soziale Netzwerke, abnimmt. Jeder Vierte in Deutschland hegt generelles Misstrauen gegenüber Medien, in Ostdeutschland ist es sogar jeder Dritte. Gründe für das mangelnde Vertrauen sind unter anderem fehlende Kontrollmechanismen für die Verbreitung von Hass- und Falschnachrichten sowie Datenmissbrauchsskandale. Die Studie hebt hervor, dass eine Mehrheit der Deutschen trotz Datenschutzskandalen ihre Daten für kostenlose Angebote zur Verfügung stellt und dass insbesondere ältere Menschen sozialen Medien misstrauen​​. Hier sind die Kernthesen und wichtigen Erkenntnisse zusammengefasst:

  • Nutzung öffentlich-rechtlicher Medien: 72% der Deutschen informieren sich über aktuelle Ereignisse hauptsächlich durch das öffentlich-rechtliche Fernsehen, während 25% Social Media nutzen, vornehmlich Facebook.
  • Datenweitergabe: 50% der Befragten lehnen die Weitergabe ihrer Daten ab, 40% akzeptieren sie unter bestimmten Bedingungen, wie z.B. kostenlose Nutzung des Angebots.
  • Vertrauensverlust in Medien: Ein Viertel der Deutschen, insbesondere in Ostdeutschland, misstraut den Medien. Ein Drittel hat in den letzten zwei Jahren Vertrauen verloren, vor allem in soziale Medien.
  • Finanzierung sozialer Netzwerke: Die Mehrheit bevorzugt eine Finanzierung durch nicht-personalisierte Werbung ohne Verkauf von Nutzerdaten. Ein Drittel wäre bereit für eine Finanzierung, die von der Menge der freigegebenen Daten abhängt.
  • Cambridge Analytica-Vorfall: Der Vorfall ist 87% der Befragten bekannt, und die Mehrheit sieht die Hauptverantwortung bei den sozialen Netzwerken. Fast die Hälfte der Deutschen hat nach dem Vorfall keine Maßnahmen ergriffen, während etwa 20% ihre Datenschutzeinstellungen überprüft haben.

Die Studie zeigt, dass das Vertrauen in die Medien in Deutschland sinkt, insbesondere in soziale Medien. Und gerade in den Sozialen Medien betreiben viele journalistische Absender ihr Clickbaiting. Die Bedenken hinsichtlich der Datenweitergabe und die Reaktionen auf Datenschutzskandale wie Cambridge Analytica verdeutlichen die Sorgen der Deutschen bezüglich des Schutzes ihrer persönlichen Informationen. Quelle 3

Klickzahlen, Eile und Masse sind Sklaventreiber im Journalismus

Ich bin seit 2009 Online-Journalist. Und seit dem kenne ich all das, was ich hier beschrieben habe. Drei wesentliche Probleme kann man dabei meiner Meinung nach ausmachen: Klickzahlen, Eile und Masse.

Da wäre zunächst die immer mehr wachsende Abhängigkeit von Klickzahlen. Nicht der Inhalt, nein die „Metrik“ muss stimmen. „Wenn’s klickt ist es gut. Wenn es Einnahmen durch Werbung oder Aboverkäufe generiert ist es besser.“ Die Auswirkungen dieser digitalen Marktschreier habe ich in den vorangegangenen Abschnitten ausführlich genug dargelegt.

Kommen wir also zum zweiten Problem, der Eile: Nicht nur, aber doch vor allem durch Google und sein Angebot Google News getrieben, hat die Schnelligkeit die Gründlichkeit verdrängt. Ich kann mich gut an die Zeit im Newsroom bei t-online.de erinnern, wo ich fast acht Jahre gearbeitet habe. Wenn der diensthabende CvD beim „Aufschlagen“ einer Eilmeldung via DPA das Thema und „in spätestens 5 Minuten“ in den Raum rief, brach Hektik aus. Einer schrie „Ich mach Text“ ein anderer „Ich suche ein Bild raus“.

Gründlich recherchieren und arbeiten? Korrekturlesen? Nicht doch! Erst mal sofort raus damit, der Rest kommt danach! Bist Du bei Google News der erste oder mindestens der zweite, hast Du gewonnen. Danach wird’s rasant irrelevant. Problem: Der schnellste ist eben nicht der beste. Und manchmal bist Du dann der erste mit einer Falschmeldung oder schreibst eine solche woanders ab, weil es schneller geht, also gründlich zu sein. Ein Beispiel gefällig? Bitteschön: Falsche Todesanzeigen – Wer früher stirbt, ist länger tot.

Kommen wird zum dritten Problem, der Masse. Und dieses Problem stürmt sozusagen aus zwei Schussrichtungen auf Redaktionen und Journalisten ein: Von außen und von innen. Von außen sind es die schieren, überwältigenden Massen an Informationen, die es zu bewerten, zu be- und verarbeiten gilt. Von innen aber sind es „Vorgaben auf Masse“. Was meine ich damit? Ganz einfach, Vorgaben, wieviele Stücke ein Ressort oder auch ein Redakteur in einem definierten Zeitraum zu liefern hat. Da heißt es dann beispielsweise ganz banal: „Jeder Redakteur hat pro Tag zwei Stücke zu schreiben“. Was bleibt dabei auf der Strecke? Die Qualität!

Die beiden Probleme Eile und Masse sind dabei echt gute Kumpel und ergänzen sich auf fatale Weise. Denn wenn ein Journalist wie eine „Schreibfabrik“ funktionieren und Masse liefern muss, kann er eben nicht viel Zeit und Muße in einzelne Stücke und aufwändige Recherchen investieren.

Gibt es tatsächlich eine „Tagesvorgabe“ in Sachen Stückzahl von Texten – ich nutze hier bewußt einen Begriff aus der Warenwirtschaft – dann kann er entweder garnicht gründlich recherchieren, oder aber er muss diese Arbeit immer wieder für ein „schnelles Stück zwischendurch“ unterbrechen. Dann rückt Quantität als Messgröße für Leistung in den Mittelpunkt und verdrängt die Qualität. Das Problem: Der Mediennutzer da draußen ist nicht doof! Er merkt das! Erst recht wenn die Kumpels Eile und Masse auch bei der Schlussproduktion die Gründlichkeit verdrängen, indem schlecht oder gar garnicht redigiert und korrekturgelesen wird.

Fazit 1: So geht es nicht weiter

Dieses Fazit mag sich platt und billig anhören, ist aber zutreffend. Warum? Die heutige Medienlandschaft ist geprägt von einem Paradigmenwechsel, der die Grundfesten des traditionellen Journalismus erschüttert. Die Jagd nach Klickzahlen, der Druck, in kürzester Zeit möglichst viel zu veröffentlichen, und die schiere Masse an Informationen einerseits und der zu veröffentlichenden Stücke andererseits haben sich zu dominierenden Kräften entwickelt, die die Qualität und Integrität journalistischer Arbeit bedrohen. Meiner Meinung nach sogar massiv bedrohen.

Die zunehmende Orientierung an Klickzahlen und die damit einhergehende Praxis des Clickbaiting bei Überschriften haben die Art und Weise, wie Nachrichten produziert und konsumiert werden, grundlegend verändert. Überschriften und Inhalte werden oft so gestaltet, dass sie maximale Aufmerksamkeit generieren, anstatt zu informieren oder aufzuklären. Dies führt zu einer Oberflächlichkeit in der Berichterstattung, bei der sensationsheischende und reißerische Inhalte oftmals fundierten Analysen und tiefgründigen Recherchen weichen müssen. Gleichsam führt es bei den Mediennutzern zu Skepsis oder gar Ablehnung. Und die Dominanz schlechter Nachrichten erzeugt die schon beschriebene „News-Fatigue“, Nachrichten werden gemieden.

Der Zeitdruck in der Nachrichtenproduktion hat ebenfalls zugenommen. In einer Welt, in der Nachrichten rund um die Uhr verfügbar sind und die nächste Schlagzeile nur einen Klick entfernt ist, wird die Eile, mit der Inhalte veröffentlicht werden, meist höher bewertet als deren Genauigkeit und Verlässlichkeit. Dies birgt die Gefahr von Fehlinformationen und oberflächlicher Berichterstattung, die wichtige Kontexte und Nuancen vernachlässigt. Und wieder gilt: Das Publikum ist nicht doof und merkt das.

Die schiere Masse an verfügbaren Informationen und die Vielzahl an Plattformen, auf denen diese verbreitet werden, tragen zusätzlich dazu bei, dass die Qualität journalistischer Arbeit leidet. Journalisten stehen unter dem Druck, ständig und schnell neue Inhalte zu produzieren, um in einem übersättigten Markt sichtbar zu bleiben. Diese Quantität über Qualität-Mentalität untergräbt die Rolle des Journalismus als vierte Gewalt, die die Öffentlichkeit informieren und Machtstrukturen kritisch hinterfragen soll. Hatte ich schon erwähnt, dass das Publikum das merkt?

Wie eben mehrmals betont, dass Publikum ist nicht dumm und merkt all das. Und das ist messbar. Die genannten Studien, wie der Reuters Digital News Report und die PwC-Studie zum Vertrauen in Medien, zeigen auf, dass diese Entwicklungen zu einem Vertrauensverlust in die Medien führen. Die Zunahme von Fake News, das Misstrauen gegenüber traditionellen Medienkanälen und die zunehmende Nachrichtenvermeidung aufgrund der Dominanz von schlechten Nachrichten – der Fluch des Credos „if it bleeds, it leads“ – sind alarmierende Trends, die eine tiefgreifende Wirkung auf die demokratische Gesellschaft und die öffentliche Meinungsbildung haben.

Fazit 2: So muss es weitergehen

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, ist ein Umdenken im Journalismus erforderlich. Es bedarf einer Rückbesinnung auf journalistische Tugenden wie Sorgfalt, Objektivität und die Verpflichtung zur Wahrheit. Lösungsansätze wie der konstruktive Journalismus, der nicht nur Probleme aufzeigt, sondern auch Lösungsansätze und positive Entwicklungen beleuchtet, können dazu beitragen, das Vertrauen in die Medien wiederherzustellen und die Rolle des Journalismus als Pfeiler der Demokratie wieder zu stärken.

In einer Zeit, in der Klickzahlen, Eile und Masse den Journalismus zu dominieren scheinen, ist es umso wichtiger, dass Medienmacher aber auch Medienkonsumenten gleichermaßen die Bedeutung qualitativ hochwertiger, ethisch verantwortungsvoller Berichterstattung erkennen und unterstützen. Daher muss die Dominanz der Metriken aufhören. Das Messen von Klickzahlen muss wieder auf das reduziert werden, was es ist: Ein Werkzeug und zwar nur eines von vielen Werkzeugen.

Wir müssen aufhören, Marktschreier zu sein und damit diesen Klickzahlen hinterherzurennen, wie die drei Weisen aus dem Morgenlande dem Stern von Bethlehem hinterher gehechelt sind. Der „Leitstern“ des Journalimus sollte (wieder) lauten: Qualität vor Quantität, Wahrheit und Objektivität vor Klicks sowie Tiefe und Gründlichkeit vor Eile. So können wir das Vertrauen der Öffentlichkeit bewahren. Nur so kann der Journalismus seine essenzielle Funktion in der Gesellschaft erfüllen und als vertrauenswürdige Quelle für Information und Aufklärung dienen. So kann der Journalismus weiter seine Rolle erfüllen, dabei zu helfen, die Demokratie zu stärken.

Ich bin studierter Journalist & Autor und außerdem auch in der Erwachsenenbildung tätig. Ich arbeite als Newsmanager & Online-Redakteur bei der VRM und bringe außerdem umfangreiche Erfahrungen im Bereich der Print-Medien und des Blattmachens mit. Seit dem Studium schon schreibe ich im Bereich lokaler und regionaler Themen. Außerdem bin ich in fachlichen Themen unterwegs. Ich betreibe unter anderem das Blog energiewende-tipps.de und das Dänemark-Blog tante-hilde.info. Mehr über mich auf lerg.de.